Experten-Talk 2023
Online-Veranstaltung als Live-Video und -Chat. Es sprechen Spezialisten aus Medizin, Forschung und Therapie mit Betroffenen und stellen sich den brennendsten Fragen.
Pro & Contra zum Thema mit Prof. Dr. Andres Ceballos-Baumann (Pro) und Prof. Dr. med. Thomas Müller (Contra)
Die Tiefe Hirnstimulation (THS oder Deep Brain Stimulation, DBS) ist eine chirurgische Behandlung, mit der nachweislich einige Symptome von Morbus Parkinson gelindert werden können.
Prof. Dr. Andres Ceballos-Baumann und Prof. Dr. med. Thomas Müller informieren darüber wie die Behandlungsmethode Tiefe Hirnstimulation (THS) funktioniert und welche „Pro“ und „Contra“ damit verbunden sind.
Erfahre mehr von den Experten und stelle vorab Deine Fragen.
Chefarzt Abt. für Neurologie und klinische Neurophysiologie mit Parkinson-Fachklinik Schön Klinik München Schwabing
Chefarzt Neurologie, Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH, Berlin
Leider können wir aus urheberrechtlichen Gründen die Videoaufzeichnung dieser Veranstaltung nicht wie sonst hier anbieten. Wir bitten um Euer Verständnis.
Nachfolgend findet Ihr aber die wichtigsten Fragen und Antworten vom Event aufgelistet.
Prof. Thomas Müller
Das ist noch experimentell und erinnert an die neurochirugischen, sterotaktischen Methoden, wo gezielt Läsionen im Gehirn gesetzt worden sind.
Prof. Ceballos-Baumann
Nein, die „transkranielle Hirnstimulation" mit Magnetpulsen bei Parkinson kann nicht als eines in der Patientenversorgung anerkanntes therapeutisches Verfahren betrachtet werden.
Prof. Thomas Müller
Das ist eine individuelle Entscheidung, Patienten sollten sich gut informieren, Vor-und Nachteile gezielt abwägen. Risiken und Nebenwirkungen können auftreten und sind auch so in der Literatur schon beschrieben.
Prof. Ceballos-Baumann
Es bestehen bei jedem chirurgischen Eingriff allgemeine Risiken wie Wundheilungsstörungen bis hin zu Wundinfektionen und in Anwesenheit von Fremdmaterial auch Implantatinfektionen, die in der Regel eine Teil- oder Komplettexplantation des Systems erforderlich machen. Das prozentuale Risiko hierfür wird in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben, meist liegt es zwischen 1 und 6 %.
Die mit Sicherheit am meisten gefürchtete Komplikation stellt eine Blutung in das Hirngewebe dar, welche zu schweren neurologischen Ausfällen und in extrem seltenen Fällen auch zum Tod führen kann, ausgelöst z.B. durch eine Gefäßverletzung beim Einführen der Elektroden. Das Risiko für eine blutungsbedingte dauerhafte neurologische Verschlechterung konnte im Lauf der Jahre immer weiter reduziert werden, was in erster Linie dem technischen Fortschritt sowohl in der Qualität der Bildgebung von MRT und CT als auch der stetig verbesserten Qualität der Planungs-Software für die Steuerung der Elektrodenplatzierung geschuldet ist. Das Risiko für eine schwere Komplikation in direktem Zusammenhang mit einer THS-Operation liegt mittlerweile bei weit unter 0,5%.
Prof. Ceballos-Baumann
Bis auf Sport, der mit Kopferschütterungen einhergeht, gibt es in der Regel kaum Einschränkungen. Da das Stimulationssystem unter der Haut implantiert ist, kann man damit auch in das Wasser gehen.
MRT Untersuchungen sind nicht bei allen Systemen zugelassen. Die Feldstärke des MRT Gerätes spielt auch eine Rolle. Da muss man sich erkundigen. Deswegen ist es hilfreich einen Implantationsausweis und idealerweise immer einen Ausdruck mit der aktuellen Einstellung der Stimulationsparameter mit sich zu führen. Bei etwaigen operativen Eingriffen, Therapien oder Untersuchungen sollte man alle über den Hirnschrittmacher informieren. Eine sogenannte Diathermie oder Tiefenwärmebehandlungen ebenso wie die transkranielle Magnetstimulation müssen unbedingt vermieden werden Nachsorgeuntersuchungen sollten in Abständen von 3-6 Monaten regelmäßig erfolgen.
Prof. Thomas Müller
Risiken und Nebenwirkungen können auftreten und sind auch so in der Literatur schon beschrieben.
Prof. Ceballos-Baumann
Die THS-OP erfordert Erfahrung, gute technische Voraussetzungen mit geeigneter Bildgebung mittels MRT und CT als auch der stetig verbesserten Qualität der Planungs- Dislokationen der Elektroden z.B. durch fehlerhafte Verankerung, die einen erneuten Eingriff erfordern.
Prof. Ceballos-Baumann
Die Verwendung von Implantaten kann zu technischen Problemen führen wie Fehllagen durch Planungsfehler, Kabelbrüche z.B. nach Stürzen, zu Dislokationen der Elektroden z.B. durch fehlerhafte Verankerung oder zu elektrischen Übertragungsproblemen im Bereich der Kabelschächte. Fehlfunktionen können auch in Zusammenhang mit der Programmierung der Impulsgeber oder deren Ladefunktion auftreten. Die Komplikationsraten bewegen sich prozentual im niedrigen einstelligen Bereich bewegen.
Prof. Thomas Müller
Das würde ich eher nicht empfehlen.
Prof. Ceballos-Baumann
Im Allgemeinen sind die tiefen Hirnstimultionssysteme viel weniger störanfällig geworden als Ende der 1990 Jahre, als z.B. das Einschalten eines Elektrobohrers schon einmal einen Stimulator ausgeschaltet hat. Unter Hochvoltanlanlagen müsste man schon konkreter Wissen, was darunter alles gemeint sein kann. Ich möchte aber annehmen, dass das Parkinson an sich der entscheidende Faktor für die Frage ist, ob man noch in seinem Beruf arbeiten kann.
Prof. Ceballos-Baumann
Die THS an sich interferiert nicht mit der Funktionsweise von E-Autos und umgekehrt auch nicht. Selbst muss man weiterhin auf eine gute Fahrtauglichkeit verweisen können und die StVO beachten. Prinzipiell gilt, nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung der Bundesanstalt für Straßenwesen, dass Parkinson-Patienten nur bei stabiler Therapie oder in leichten Fällen der Erkrankung Auto fahren können. Da die Implantation des THS Systems formal ein Eingriff am Gehirn ist, gilt man 3 Monate lang nach der Operation zum Führen eines Kraftfahrzeuges aller Klassen ungeeignet.
Eine Studie hat ergeben, dass THS behandelte Patienten vergleichsweise sogar recht sicher Auto fahren, evtl. sicherer als vorher, weil in der Regel Parkinson-Medikamente reduziert werden können. Diese können mitunter die Fahrtauglichkeit beispielsweise durch Einschlafattacken oder Blutdruckabfall einschränken.
Prof. Ceballos-Baumann
Die THS mit dem Zielpunkt im STN wirkt auf alle drei Kardinalsymptome des Parkinson, d.h. auf das Minus an Motorik (Akinese), die Muskelsteifheit (Rigor) und den Ruhetremor. Falls Tremor das absolut dominierende Problem darstellt, wird gelegentlich ein anderer Zielpunkt als der STN gewählt nämlich der VIM. Gangprobleme, die sich auf Levodopa nicht bessern, sind keine Indikation für die THS.
Prof. Thomas Müller
Nein, bezüglich der Gangprobleme. Tremor kann man auch sehr gut mit Primidonsaft (initial) bzw. Clozapin medikamentös sehr gut einstellen. Mit Geduld und genügend Zeit klappt das fast immer.
Prof. Ceballos-Baumann
Ja, einige:
Prof. Ceballos-Baumann
Die Wirkung der THS nimmt ab, in dem Maße wie die Parkinson-Krankheit fortschreitet. Allerdings ist es auffällig, dass selbst nach mehr als 15 Jahren die Stimulation weiterhin wirkt. Das beobachtet man bei den Patienten, die die Warnhinweise der Batterieerschöpfung ihres nicht aufladbaren Stimulators nicht bemerkten und ein vollkommenes Stopp der Stimulation erleben mussten.
Prof. Thomas Müller
Mit Fortschreiten der Erkrankung müssen alle therapeutischen immer wieder angepasst werden.
Prof. Ceballos-Baumann
Die MRT gesteuerte fokussierte Ultraschalltherapie ist keine Hirnstimulation, sondern ein Verfahren, bei dem das in der THS verwendete Zielgewebe durch Erhitzen für immer zerstört wird, so dass an der Stelle eine Läsion, eine „Narbe“ entsteht.
Prof. Ceballos-Baumann
In der Zwischenzeit sind die meisten THS Systeme abhängig von der Feldstärke MRT kompatibel, aber einige Dinge sind zu beachten und bei Untersuchungen und Therapien sollte man immer auf die THS hinweisen.
Prof. Thomas Müller
Ja!
Prof. Ceballos-Baumann
Grundsätzlich schon. Die Elektroden, die Kabel und der Impulsgeber können explantiert werden.
Prof. Thomas Müller
Wir schalten den Stimulator hier öfters ab und stellen Patienten dann wieder adäquat medikamentös ein.
Prof. Ceballos-Baumann
Das kann man so pauschal nicht sagen. Da gibt es einige Variablen zu beachten. Was meint man mit kognitiven Verschlechterungen? Solche, die nur mit speziellen Testpsychologischen Verfahren aufgedeckt werden können oder solche die eine Alltagsrelevanz haben. Letztere traten nicht auf, es sei denn, es ist zu einer Komplikation gekommen. Unter alleiniger medikamentöser Therapie muss man definieren, ob man sich auf die On oder die Off Phasen bezieht.
Prof. Thomas Müller
Das ist nicht untersucht.
Prof. Ceballos-Baumann
Eine subkutane Pumpen-Therapie, nämlich die mit Apomorphin gibt es schon seit Ende der 1980 Jahre. Im Moment sind die Hoffnungen hoch, dass ein ähnlicher Ansatz mit Levodopa erzielt werden kann. Da müssen aber noch die Phase 3 klinischen Studien abgewartet werden, bis mit einer Einführung in die Regelversorgung gerechnet werden kann. Das kann noch einige Jahre dauern.
Prof. Thomas Müller
Ja, das dauert noch…, wir sind in Deutschland, soll angeblich in 2022 kommen.
Prof. Ceballos-Baumann
Im Allgemeinen gilt, dass wenn sich eine derartige axiale Fehlstellung schon etabliert hat, die THS dafür nicht hilfreich sein kann. Kontrovers diskutiert wird, ob bei Anfangsstadien derartiger axialen Fehlstellungen die THS hilfreich sein kann. Relevante, größere Untersuchungen zu diesem Problem gibt es meines Wissens bisher nicht.
Prof. Thomas Müller
Meines Wissens nicht.
Prof. Ceballos-Baumann
Das lässt sich pauschal nicht so einfach beantworten.
Prof. Thomas Müller
Ja
Prof. Thomas Müller
Viele Patienten haben bei Einsatz anderer Parkinsonmedikamente dann psychiatrische Nebenwirkungen, bzw. Komplikationen.
Prof. Ceballos-Baumann
Ja, eine ganze Menge. Unklar ist jedoch, ob sich jetzt schon aufgrund dieser Erkenntnisse konkrete Therapieempfehlungen in der Versorgung von Patienten ableiten lassen.
Prof. Thomas Müller
Nein, das ist auch nur ein Hypothese, die auch schon wie die Geschichte mit den Riechstörungen oder dem Restless legssyndrom teilweise sehr fundiert widerlegt wurde, bzw. kontrovers diskutiert wurde.
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